Silent Transition, 2018

Still und erhaben stehen sie da, unfertige, rätselhafte Gebäudekomplexe, in einer Landschaft, die zwischen grüner Idylle und ockerfarbenem Brachland changiert. Der Blick konzentriert sich auf Volumen und Zwischenräume, auf Texturen, auf Licht und Schatten. Bei längerer Betrachtung löst sich der hermetische Eindruck auf, die Fotografien öffnen sich, was vorerst statisch schien, ist voller Leben, da und dort sind Menschen und Tiere zu sehen - und unzählige Satellitenschüsseln. Die Faszination, die von diesen Fotografien ausgeht, nährt sich aus einem Gegensatz. Der von aussen "stummen" Architektur steht die Ahnung auf ein pulsierendes Leben im Innern gegenüber.


Die Serie Silent Transition zeigt Ausschnitte informeller Siedlungen der Metropolitanregion Kairo. Mehr als die Hälfte der ca. 20 Millionen Einwohner lebt in solchen Siedlungen, die ohne Stadtplanung und ohne Baubewilligungen, meist auf vormals landwirtschaftlich genutztem Land entstehen. Die Stadt frisst sich quasi in das wertvolle Agrarland des Nildeltas und verleibt es sich ein, wobei das Überbauungsmuster jeweils die Geometrie der Ackerflächen und ihrer Bewässerungskanäle übernimmt. Es sind bis zu fünfzehn Stockwerke hohe Konstruktionen aus Beton und Backstein, roh und in wenigen typologischen Variationen, die sich zu einem homogenen Stadtbild mit einer eigenen Ästhetik vereinen. Eine städtische Infrastruktur existiert nur rudimentär. Die Geschwindigkeit, mit der immer neue Siedlungen entstehen, hat seit 2011 enorm zugenommen. Verbliebene Grünflächen mahnen sehnsuchtsvoll (vielleicht nur für uns Westeuropäer?) an eine Üppigkeit, die verschwindet und durch wuchernde, hoch verdichtete Quartiere ersetzt wird.


Georg Aerni nähert sich diesen Transformationsprozessen in unterschiedlicher Distanz. Ein Teil der Fotografien zeichnet sich aus durch einen Blick aus der Ferne und erlaubt so eine Übersicht. Ein anderer Teil fokussiert auf starke Elemente im Vordergrund. Durch diese wechselnden Kompositionen wird aus einfachen Stadtansichten eine Metapher für die Frage, wie wir mit dem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel umgehen, der sich durch die Land-Stadt-Migration vollzieht und seinen Ausdruck in immer unkontrollierter wachsenden Städten findet. Zudem werden wir als Betrachter durch den Perspektivwechsel direkt in diese Auseinandersetzung involviert.

"Stiller Übergang" nennt Georg Aerni seine Ausstellung, die Bezeichnung der Fotografien sind einfache Ortsangaben. Auch wenn diese Fotografien tatsächlich eine Ruhe und Getragenheit ausstrahlen, so erzählen sie doch auch von einem heftigen Umbruch in Ägypten, der eng verknüpft ist mit der politischen Situation.




They stand still and sublime, unfinished, enigmatic building complexes in a landscape that alternates between green idyll and ochre-coloured wasteland. The gaze is focussed on volumes and interstices, on textures, on light and shadow. On longer viewing, the hermetic impression dissolves, the photographs open up, what at first seemed static is full of life, people and animals can be seen here and there - and countless satellite dishes. The fascination that emanates from these photographs is fuelled by a contrast. The "silent" architecture on the outside contrasts with the hint of a pulsating life on the inside.


The Silent Transition series shows sections of informal settlements in the Cairo metropolitan region. More than half of the approximately 20 million inhabitants live in such settlements, which are being built without urban planning or building permits, mostly on land that was previously used for agriculture. The city virtually eats into the valuable agricultural land of the Nile Delta and incorporates it, with the development pattern taking on the geometry of the farmland and its irrigation channels. Concrete and brick constructions up to fifteen storeys high, raw and with few typological variations, unite to form a homogeneous cityscape with its own aesthetic. There is only a rudimentary urban infrastructure. The speed at which new housing estates are being built has increased enormously since 2011. Remaining green spaces are a nostalgic reminder (perhaps only for us Western Europeans?) of a lushness that is disappearing and being replaced by sprawling, high-density neighbourhoods.


Georg Aerni approaches these transformation processes from different distances. Some of the photographs are characterised by a view from a distance, allowing an overview. Another part focusses on strong elements in the foreground. Through these changing compositions, simple city views become a metaphor for the question of how we deal with the profound social change that is taking place through rural-urban migration and is finding expression in cities that are growing ever more uncontrollably. As viewers, we are also directly involved in this debate through the change of perspective.


Georg Aerni calls his exhibition Silent Transition; the names of the photographs are simple indications of location. Even if these photographs do indeed radiate a sense of calm and serenity, they also tell of a violent upheaval in Egypt that is closely linked to the political situation.