Partitions, 2011/2013

Georg Aerni beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder mit Städten, ihren Transformationsprozessen und der Frage, welche Elemente die Raumordnung und damit die Stimmung einer Stadt wesentlich beeinflussen. Dabei interessieren ihn in der Regel die bildästhetischen Qualitäten des Gewöhnlichen. In ausgiebigen, ziellosen Spaziergängen mit oft spontaner Wegführung erkundet und "liest" Georg Aerni jeweils die Stadt vom Zentrum bis zur Peripherie, um erst aufgrund seiner Bildnotizen die definitiven Aufnahmeorte festzulegen.


Was in seinen vorgängigen Serien möglich war, das Erfahren der Grenzen des öffentlichen Bereichs bis hinein in Hinterhöfe oder entlang von Gebäuderückseiten, blieb ihm in Shanghai verwehrt. Die Struktur Shanghais wird nämlich wie jene anderer chinesischer Städte bestimmt durch grosse zusammengehörende Gebäudeanlagen, welche nach aussen durch Mauern, Zäune, Hecken abgeschlossen sind und ausschliesslich durch ein meist bewachtes Portal mit Toren oder Barrieren betreten werden können. Diese Abschottung ist von der sozialen Schicht der Bewohner unabhängig und im Städtebau des Landes traditionell tief verwurzelt. Sie basiert deshalb nur bedingt auf erhöhten Sicherheitsbedürfnissen. Die 'gated communities' chinesischer Prägung mit gleichförmigen, nach Süden ausgerichteten Bauten, verfügen oftmals über ein inneres Strassennetz und Grün-, bzw. Erholungsflächen. Ihre Introvertiertheit macht die grosse gesellschaftliche Bedeutung der Familie und des Kollektivs deutlich.


Der offen zugängliche Restbereich der Stadt, die Strasse, fungiert hingegen als reiner Funktionsraum für Verkehr und Kommerz ohne repräsentative Aufgabe. Flanieren und die damit verbundene freie Bewegung des Individuums auf Strassen und Plätzen hat in China keine Tradition.
Seit der Einleitung von Wirtschaftsreformen in den 1980er Jahren wächst Shanghai kontinuierlich in die Höhe und Breite: Altbauquartiere weichen – oft durch Zwangsumsiedlungen - grossflächigen Hochhaus-Komplexen, und der Stadtrand verschiebt sich nach aussen, da es nur wenige topographische Einschränkungen gibt. Um stadtökologische Ziele zu erreichen, werden umfangreiche Begrünungsmassnahmen umgesetzt.


Georg Aernis Serie Partitions zeigt diese baulichen Umwälzungen, indem temporäre Bildelemente zahlreiche Arbeiten formal wesentlich strukturieren. Die in seinen Fotografien allgegenwärtigen Abgrenzungen sieht der Künstler als bedeutsame Zeichen, welche auf die Eigenart der chinesischen Raumkultur verweisen.


aus: Georg Aerni. Partitions. Werkdokumentation Galerie Bob Gysin, 2015