Insights, 2003

Aus der Luft zeigt sich Tokio als endloses Häusermeer, aus dem nur die Hochbauten der Geschäftszonen wie Inseln herausragen. Die Stadt gleicht einer zufälligen Ansammlung zahlreicher Gross- und Kleinstädte, welche durch Eisenbahnlinien miteinander verbunden sind. Die Bahnhöfe bilden deren Zentren. So hat Tokio im Vergleich zu westlichen Städten, die oft einen bestimmten Strassenraster oder städtebaulich wichtige Achsen und Plätze aufweisen, keine leicht erkennbare Ordnung. Eine freie Baugesetzgebung, kleine Parzellengrössen und ein radikaler, unsentimentaler Erneuerungswille führen zu einer baulichen Vielfalt, die ein homogenes Stadtbild verunmöglicht.


Die verheerenden Brandkatastrophen nach dem Erdbeben von 1923 und den Bombardierungen von 1945 sowie wirtschaftliche Profitoptimierung sind dafür verantwortlich, dass heute nur wenige Häuser über 60 Jahre alt sind. Deshalb wird die Geschichte Tokios nicht von Gebäuden, sondern von den noch vorhandenen Flüssen und Kanälen erzählt. Seit 1964 wird am Netz des „Tokyo Metropolitan Highway“ gebaut. Diese Stadtautobahn ist wegen Raumknappheit als Hochbau auf Stützen mehrheitlich über die einstigen Wasserverkehrswege gelegt worden. Durch ihre Höhe und ihre Länge von 220km ist sie räumlich omnipräsent.


Wie die Stadt in ihrer Struktur sind auch die Gebäude in ihrer äusseren Erscheinung – mit Ausnahme von neueren Hochhäusern – nicht auf Repräsentation ausgerichtet. Da sich das Hauptaugenmerk der BewohnerInnen auf das Hausinnere, das Private richtet, wird der Gestaltung der Gebäudehülle wenig Beachtung geschenkt. So richtet sich die Position und Grösse der Fensteröffnungen oft nach den inneren Bedürfnissen. An den Fassaden werden ganz pragmatisch auch Klimageräte, Rohre und Leitungen angebracht.


Georg Aerni




Seen from the air Tokyo is an endless sea of buildings distinguished only by the high-rise complexes of the business district standing out like islands. The city resembles a chance accumulation of countless large and small towns connected by railway lines. The railroad stations form their centres. In comparison to cities in the West, which often have a defined street grid or major thoroughfares and squares, Tokyo has no recognisable order. Limited building legislation, small lot sizes and a radical, unsentimental spirit of renewal generate an architectural diversity that precludes a homogeneous urban image.


Due to the devastating fires following the earthquake of 1923 and the bombing of 1945 as well as economic profit optimisation, very few buildings today are more than 60 years old. The history of Tokyo is therefore mirrored in its still existing rivers and canals – and not in its buildings. Construction has been underway since 1964 on the "Metropolitan Expressway" network. To make up for the shortage of space, this urban highway has been constructed largely on columns above the former waterways. Its height combined with a length of 220 km has made the network an omnipresent feature of metropolitan Tokyo.


Like the structure of the city, the buildings – with the exception of the skyscrapers – have not been designed to express status. Urban residents pay little attention to outward appearances, instead directing their attention to the interior and to their personal requirements. The position and size of the windows generally reflect their inner needs, while facilities such as air conditioners, pipes and conduits are pragmatically mounted on the façades.


Georg Aerni

Translation: Catherine Schelbert